Nach Bekanntwerden von Erkrankungsfällen mit einer neuen Influenzavariante in Nordamerika im April 2009 entwickelte sich im Sommer und Herbst 2009 die erste Pandemie (= weltweite Epidemie) seit 1968. Dieses neue Virus des Influenza-A-Subtyps H1N1 war nach Reassortment (Austausch von Gensegmenten) von porcinen Influenzaviren einer nordamerikanischen (sechs Genomsegmente) und einer eurasischen (zwei Genomsegmente) Linie entstanden. Das in amerikanischen Schweinebeständen zirkulierende nordamerikanische Schweineinfluenzavirus war bereits eine Reassortante aus porcinen, humanen und aviären Gensegmenten gewesen [1]. Obwohl die neu entstandene Variante zuvor beim Schwein noch nicht nachgewiesen worden war und die während der Pandemie betroffenen Schweinebestände durch Menschen infiziert wurden, hat sich der Begriff „Schweinegrippe“ in Deutschland neben dem offiziellen, auch international genutzten Begriff „Influenzapandemie (H1N1) 2009“ durchgesetzt.

Außer dem geografischen Ursprung überraschte auch das Auftreten eines von der saisonalen Influenza bekannten Subtyps H1. Dieser unterscheidet sich in seinem Antigenprofil so stark von den bisher zirkulierenden Viren, dass keine oder nur eine geringe Immunität in der Bevölkerung erwartet werden konnte [2, 3]. Auf die Möglichkeit einer Pandemieentstehung durch saisonal zirkulierende Subtypen, die sich durch jahrzehntelange parallele Zirkulation in Haustierbeständen antigenetisch sehr weit von den humanen Varianten entfernt haben, war jedoch bereits im Vorfeld hingewiesen worden [4].

Sowohl die virologische Charakterisierung des neuen Virus als auch die Etablierung analytischer Methoden gelang international und national in kürzester Zeit. Entsprechende Daten und Methoden wurden bereits im Mai/Juni 2009 publiziert [5, 6, 7].

Im Gegensatz dazu wurde die zeitnahe Einschätzung des durch das Virus verursachten Epidemieverlaufs und der Krankheitsschwere zur größten Herausforderung der Pandemie (H1N1) 2009. Anfängliche Berichte gingen von vielen Hospitalisierungen und hohen Todesfallzahlen in Mexiko aus, in deren Folge das gesamte gesellschaftliche Leben in der mexikanischen Hauptstadt zum Erliegen kam [8]. Später relativierten sich diese Meldungen, und erste Hochrechnungen zu wichtigen Dynamikparametern wurden publiziert [9]. Die Schätzungen der Letalität im weiteren Verlauf schwankten zwischen 0,005 und 1,7%, wobei erst im Dezember 2009 übereinstimmende populationsbasierte Schätzungen aus dem Vereinigten Königreich und den USA vorlagen [10, 11]. Die Ursachen für die differenten Angaben lagen in den unterschiedlich betroffenen Alters- und Risikogruppen und starken regionalen Unterschieden auch innerhalb einzelner Länder.

In Deutschland wurden die ersten Fälle bereits am 29. April labordiagnostisch bestätigt. Trotz eines raschen Anstiegs der Fallzahl – insbesondere an importierten Fällen – im Sommer 2009 war erst ab der 42. Kalenderwoche (KW) eine erhöhte Krankheitslast auf Bevölkerungsebene mit einer fortgesetzten Mensch-zu-Mensch-Übertragung messbar [12, 13, 14].

Da die Epidemiologie bei einem neuen Erreger vorab nicht bekannt ist, ergibt sich über einen gewissen Zeitraum eine Wissenslücke, das heißt, es besteht eine Lücke zwischen dem Bedarf an konkreten Empfehlungen und der Verfügbarkeit einer auf epidemiologischen Daten basierten Evidenz zum Vorgehen im Bereich der öffentlichen Gesundheit.

Zusammen mit den Daten der syndromischen und virologischen Surveillance der Arbeitsgemeinschaft Influenza des Robert Koch-Institutes (RKI) sind die Meldedaten gemäß IfSG die dritte Säule zur Charakterisierung des epidemiologischen Verlaufs in Deutschland [12, 13]. Die syndromische Surveillance beschreibt die auf Bevölkerungsebene messbare Krankheitslast, sie erlaubt aber keine Erhebung einzelfallbasierter Informationen. Um frühzeitig Daten für Deutschland zu gewinnen und damit auch Gesundheitsämter in die Lage zu versetzen, infektionshygienische Maßnahmen ergreifen zu können, wurde am 2.05.2009 die Verordnung über die Meldepflicht bei neuer Influenza (NIMPV) in Kraft gesetzt. Damit wurde die namentliche Meldung für Ärzte gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 IfSG ausgedehnt auf den Krankheitsverdacht, die Erkrankung und den Tod eines Menschen an pandemischer Influenza (H1N1) 2009. Ab der 44. KW war eine aggregierte Übermittlung von Fällen möglich. Am 13.11.2009 wurde die bestehende Verordnung zur Meldung von Verdachtsfällen außer Kraft gesetzt und durch eine Verordnung ersetzt, die nur noch den Tod im zeitlichen Zusammenhang mit einer laborbestätigten Infektion mit pandemischer Influenza (H1N1) 2009 gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 IfSG für Ärzte meldepflichtig machte. Die Verordnung ist am 1.5.2010 gemäß § 2 dieser Verordnung außer Kraft getreten. Die bestehende Meldepflicht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 24 IfSG blieb davon unberührt.

Für Influenzameldungen fand seit Mai 2009 eine erweiterte elektronische Übermittlung von Daten mittels standardisierter Freitexteinträge statt. Nachdem zunächst Informationen zum Fallstatus (Verdacht, wahrscheinlich, bestätigt) sowie zum Management und zur antiviralen Prophylaxe bei Kontaktpersonen übermittelt wurden, wurden diese Freitextangaben angepasst und ab der 29. KW durch Angaben zu Therapie, Risikofaktoren sowie weiteren Fallparametern ersetzt. Die Auswahl der anzugebenden Risikofaktoren basierte auf dem zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Kenntnisstand unter Einbeziehung der publizierten Daten der WHO und des ECDC. Die Falldefinition wurde entsprechend der Strategie zur Prävention beziehungsweise Minimierung der Krankheitsfolgen in der Bevölkerung jeweils im Mai, August und Oktober 2009 angepasst [15].

Der vorliegende Beitrag beschreibt den epidemiologischen Steckbrief der Pandemie (H1N1) 2009 vom ersten Auftreten durch im Ausland erworbene Infektionen bis Ende April 2010 in Deutschland. Er basiert auf den Einzelfall-Meldedaten gemäß IfSG [16]. Die Analyse der pandemischen Herbst-/Winterwelle soll die Möglichkeiten und Limitationen dieser Daten zur Einschätzung der Krankheitsschwere und von Risikofaktoren für einen schweren Verlauf der pandemischen Influenza (H1N1) 2009 aufzeigen. Die Ergebnisse werden in den Kontext der in zusätzlichen Studien gewonnenen Erkenntnisse gestellt.

Methoden

Es wurden die IfSG-Meldedaten von H1N1-Erkrankungsfällen ausgewertet, die zwischen der 18. Meldewoche (MW) 2009 und der 17. MW 2010 elektronisch an das RKI übermittelt wurden. Die MW ist als diejenige Kalenderwoche definiert, in der die Meldung eines Falles durch den Meldepflichtigen (zum Beispiel niedergelassener Arzt gemäß § 6 IfSG nach NIMPV, Labor gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 24) beim Gesundheitsamt eingeht.

Aufgrund der erweiterten elektronischen Übermittlung standen für Fälle, die ab der 29. MW übermittelt wurden, Angaben zur Behandlung (antivirales Arzneimittel, Therapiebeginn), zu Risikofaktoren [chronische Erkrankung, Schwangerschaft, Adipositas (BMI >30)], zum Vorliegen einer Pneumonie und zum Hospitalisierungsgrund zur Verfügung. Für die einzelnen Risikofaktoren waren Mehrfachnennungen möglich, aber nicht explizit gefordert, wenn mehrere Risikofaktoren vorlagen. Die Krankheitsschwere wurde definiert durch Hospitalisierung (unter Einbeziehung des Hospitalisierungsgrundes), das Vorliegen einer Pneumonie oder den Tod eines Patienten an pandemischer Influenza (H1N1) 2009. Da erst ab der 29. MW (nach Anpassung der standardisierten Freitextangaben) Daten zu Risikofaktoren vorlagen, konnten alle früher übermittelten Fälle nicht in die Analyse zum Einfluss der Risikofaktoren auf die Krankheitsschwere einbezogen werden. Das gilt auch für weitere, nicht vollständig übermittelte Datensätze. Nur Datensätze mit Altersangabe und vollständigen Angaben zu den jeweils betrachteten Variablen wurden ausgewertet („auswertbare Fälle“). Die in den SQL-Datenbanken des RKI gespeicherten Daten wurden mithilfe von MS Excel 2007 (Microsoft Corporation) aufbereitet und mit PASW Statistics 17.0.3 sowie Stata 10.0 (Stata Corp. Texas) analysiert. Da nicht für alle Risikofaktoren bevölkerungsbezogene Daten zur Prävalenz vorlagen und die Vollständigkeit der Angaben je nach Schwere der Erkrankung variieren kann, wurde in dieser Auswertung die relative Bedeutung der Risikofaktoren analysiert.

Der Verlauf der Pandemie im ersten Jahr wurde anhand der Zahl der übermittelten Fälle in vier Zeitabschnitte gegliedert:

  • T1: 18. bis 28. MW 2009: Einzelfälle, vornehmlich Rückreisende aus Nordamerika und enge Kontaktpersonen,

  • T2: 29. bis 38. MW 2009: Erster deutlicher Anstieg der Fallzahlen mit einem Höhepunkt in MW 31 und folgendem Rückgang bis MW 38; vornehmlich Rückreisende aus Urlaubsländern (Spanien) und enge Kontakte,

  • T3: 39. bis 53. MW 2009: Erneuter starker Anstieg der Fallzahlen von überwiegend in Deutschland erworbenen Infektionen. Dieser Zeitraum umfasst die ab der 42. KW auf Bevölkerungsebene deutliche messbare Erkrankungswelle mit einem Höhepunkt in MW 46 (für Einzelfälle),

  • T4: 1. bis 17. MW 2010: Langsamer Rückgang der Fallzahlen nach der Herbst-/Winterwelle.

Unterschiede in der Altersverteilung der Fälle in den vier Zeitabschnitten wurden zunächst mit dem Kruskal-Wallis-Test global untersucht. Wenn signifikante Unterschiede gefunden wurden, wurde mittels eines Mann-Whitney-U-Testes analysiert, welche Zeitabschnitte sich signifikant voneinander unterschieden.

Um den Einfluss der erfassten Risikofaktoren, des Alters und Geschlechts auf die Krankheitsschwere zu analysieren, wurde eine logistische Regression durchgeführt. Dabei dienten die Variablen Hospitalisierung und Tod als Maß für die Schwere der Erkrankung. Die Fälle wurden für die Analyse in drei Altersgruppen geteilt: Patienten von 0 bis 14 Jahren, 15 bis 59 Jahren und ab 60 Jahren bilden jeweils eine Altersgruppe. Ein p-Wert kleiner als 0,05 wurde als signifikant angenommen.

Ergebnisse

Bis zur 17. MW 2010 wurden 172.449 Einzelfälle (mit Altersangabe) von pandemischer Influenza (H1N1) 2009 an das RKI übermittelt, davon waren 7882 (4,6%) hospitalisiert und 250 (0,15%) sind verstorben. Für 3987 hospitalisierte Patienten (50%) liegen Angaben zum Hospitalisierungsgrund vor: Bei 3370 (85%) von ihnen wurde eine Influenzaerkrankung, für 15% der Fälle eine andere, nicht näher spezifizierte Erkrankung als Hospitalisierungsgrund angegeben.

Der Altersmedian der Einzelfälle liegt bei 16 Jahren (Inter-Quartil-Range IQR 10; 28). Der Altersmedian aller hospitalisierten Fälle – unabhängig vom Hospitalisierungsgrund – liegt bei 17 Jahren (IQR 8; 35), der Altersmedian bei den 3370 wegen Influenza hospitalisierten Fällen beträgt ebenfalls 17 Jahre. Bei den übermittelten Todesfällen lag der Altersmedian mit 47 Jahren (IQR 30,5; 57) deutlich höher als bei den hospitalisierten Fällen.

Zeitlicher Verlauf

Die vier Zeitabschnitte (T1 bis T4) unterscheiden sich bezüglich der Altersverteilung der Fälle, der Hospitalisierungsquote und der Letalität (Tab. 1, Abb. 1 und Abb. 2). Während sich das durchschnittliche Alter der Fälle zwischen Zeitabschnitt T1 und T2 mit einem Altersmedian von 20 beziehungsweise 19 Jahren nicht signifikant unterscheidet, ist dies bei den hospitalisierten Fällen mit einem Altersmedian von 24 beziehungsweise 19 Jahren der Fall. Zwischen den Zeitabschnitten T2, T3 und T4 verändert sich die Altersverteilung sowohl bei den Erkrankungsfällen als auch bei den hospitalisierten Fällen: Von der Sommerhäufung (T2) zur Herbsterkrankungswelle (T3) sinkt das mediane Alter von 19 auf 15 Jahre deutlich, um dann in T4 wieder auf 23 beziehungsweise 25 Jahre anzusteigen. Auch steigt das durchschnittliche Alter der verstorbenen Patienten von T3 nach T4 von 46 Jahre auf 51 Jahre signifikant an. Nach der Haupterkrankungswelle wurden zunehmend ältere und ganz junge Patienten mit Influenzaerkrankungen übermittelt (Abb. 2). Die Hospitalisierungsquote ist im ersten sowie im vierten Zeitabschnitt mit 13 beziehungsweise 21% deutlich höher als in T2 und T3 – dort lag sie bei jeweils 4%. Die Letalität steigt über den zweiten, dritten und vierten Zeitraum relativ zu den übermittelten Fallzahlen deutlich an. In T1 wurde kein, in T2 nur ein Todesfall übermittelt.

Tab. 1 Anzahl, Altersmediane, Hospitalisierungsquote und Letalität der übermittelten Einzelfälle von pandemischer Influenza (H1N1) 2009 in vier Zeitabschnitten
Abb. 1
figure 1

Epidemische Kurve der übermittelten Einzelfälle und jeweiliger Anteil an hospitalisierten Fällen und Todesfällen in Prozent. Der farbige horizontale Balken markiert die vier Zeitabschnitte während der Fallübermittlung

Abb. 2
figure 2

Altersverteilung der übermittelten Einzelfälle in den MW 18/2009 bis 17/2010 in Prozent. Der farbige horizontale Balken markiert die vier Zeitabschnitte während der Fallübermittlung

Risikofaktoren und Krankheitsschwere

Tab. 2 listet die Angaben zu den Risikofaktoren ab MW 29 für die übermittelten Fälle, die hospitalisierten Fälle und die Todesfälle auf. Für knapp 8% der Fälle wurde ein Risikofaktor angegeben. Bei den übermittelten Erkrankungen wird als häufigster Risikofaktor in 3,7% der Fälle eine Vorerkrankung des Atmungsapparates genannt, gefolgt von Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit einem Prozent der Patienten. Bei den hospitalisierten Personen lag in gut 25% der Fälle ein Risikofaktor vor. Dagegen wurde bei den mit laborbestätigter pandemischer Influenza Verstorbenen bei über 85% ein Risikofaktor beobachtet. Mit zunehmender Schwere der Erkrankung treten alle untersuchten Risikofaktoren prozentual deutlich häufiger auf. Vorerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, der Atemwege und Immunsuppression wurden jeweils bei mehr als 20% der Todesfälle berichtet.

Tab. 2 Angaben zu Risikofaktoren (übermittelte Einzelfälle gemäß IfSG ab MW 29/2009, bei denen eine Altersangabe vorliegt)

Bei über 80% der übermittelten Fälle wurden Angaben zum Vorliegen einer Pneumonie gemacht. Während bei den Erkrankungsfällen der Anteil einer Pneumoniediagnose bei einem Prozent lag, wurde sie bei knapp 15% der hospitalisierten und bei fast 90% der verstorbenen Patienten festgestellt (Tab. 3).

Tab. 3 Angaben zum Vorliegen einer Pneumonie

In der multivariaten Analyse, in die Risikofaktoren sowie Altersgruppe und Geschlecht als Variablen eingeschlossen wurden, erwies sich Immunsuppression mit einer Odds Ratio (OR) von 8,82 [95%-Konfidenzintervall (95%-KI) 7,3–10,6] für Hospitalisierung und einer OR von 37,4 (95%-KI 25,5–54,8) für Tod jeweils als stärkster Risikofaktor. Nachdem sich in dieser multivariaten logistischen Regression die Variablen Altersgruppe und Geschlecht zumindest für eine der beiden Zielvariablen (Hospitalisierung oder Tod) als signifikant erwiesen hatten und für die andere Zielvariable mindestens im Trend signifikant waren (p<0,10), wurde die Analyse stratifiziert nach Altersgruppen und Geschlecht durchgeführt.

Die in Tab. 4 aufgelisteten Ergebnisse zeigen, dass Immunsuppression für eine Hospitalisierung bei männlichen Personen in allen drei Altersgruppen und bei weiblichen Personen in zwei Altersgruppen im Vergleich mit allen anderen Risikofaktoren die größte OR aufwies. Bei weiblichen Fällen der Altersgruppe von 15 bis 59 Jahren war eine Schwangerschaft ein noch stärkerer Risikofaktor als Immunsuppression, die der Schwangerschaft als bedeutender Risikofaktor direkt folgte. Bei den Todesfällen spielten in der Altersgruppe unter 15 Jahren Risikofaktoren wie Diabetes und Vorerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems neben anderen, nicht näher spezifizierten Risikofaktoren die wichtigste Rolle. In der Altersgruppe der 15- bis 59-Jährigen war bei männlichen Personen wiederum Immunsuppression der bedeutendste Risikofaktor. Bei weiblichen Personen unterschieden sich Adipositas, Immunsuppression und andere, nicht näher spezifizierte Risikofaktoren nicht wesentlich im Modell bezüglich der OR. In der Altersgruppe der 60-Jährigen und Älteren stellte die Immunsuppression bei beiden Geschlechtern mit Abstand den größten Risikofaktor für einen tödlichen Ausgang der Erkrankung dar.

Tab. 4 Odds Ratio für Risikofaktoren bei Hospitalisierung oder Todesfall, stratifiziert nach Geschlecht und Altersgruppe. Angegeben sind jeweils nur die Risikofaktoren, für die ein signifikantes Ergebnis vorliegt

Diskussion

Nachdem gerade zu Beginn der Pandemie (H1N1) 2009 große Unsicherheit herrschte, wie die neue Variante H1N1 bezüglich Transmissibilität, Virulenz und Pathogenität einzuschätzen ist, konnten inzwischen wichtige epidemiologische Parameter bestimmt werden [17, 18]. Zusätzlich zu den virologischen Charakteristika und den Übertragungseigenschaften sind Informationen zur bestehenden Immunität in älteren Bevölkerungsgruppen verfügbar [3, 19, 20]. Auch wurden Untersuchungen zu Risikofaktoren und zur Krankheitsschwere in verschiedenen Bevölkerungsgruppen publiziert [10, 11, 18].

Neben der Bestimmung dieser grundsätzlichen Parameter der Pandemie (H1N1) 2009 zeigt der international sehr unterschiedliche Verlauf die Notwendigkeit landesspezifischer Daten [21]. Die einzelfallbasierten Informationen gemäß IfSG erwiesen sich als sensitiv für die Erfassung von Veränderungen im Verlauf der Pandemie. Sie zeigten diese auch früher an als entsprechende Daten der syndromischen Surveillance [22]. Gleichzeitig reagierten sie messbar auf veränderte gesetzliche Vorgaben und Veränderungen in der Falldefinition und in den Empfehlungen zur Krankheitsprävention und Kontrolle. Diese Tatsache muss daher bei der Datenauswertung und Ergebnisinterpretation berücksichtigt werden. So ist die relativ hohe Hospitalisierungsquote (13%) in den ersten Wochen der Pandemie Ausdruck der initial strikt durchgeführten Maßnahmen zur Eindämmung von Infektionen im Umfeld von Erkrankten. Sie kann daher nicht als Indikator für die Krankheitsschwere in diesem Zeitraum herangezogen werden. Dies belegt, wie wichtig die zusätzlich im Freitext erhobenen Angaben für eine korrekte Interpretation der Daten waren. Die ab der MW 29 (und damit ab dem ersten deutlichen Anstieg der Fallzahlen) im standardisierten Freitext erhobene Angabe zum Hospitalisierungsgrund zeigte dann aber, dass ab diesem Zeitpunkt bei 85% der Fälle die Influenzaerkrankung der Grund für die Krankenhauseinweisung war.

Da ab dem 13.11.2009 die ärztliche Meldepflicht nur noch für laborbestätigte Todesfälle durch pandemische Influenza (H1N1) 2009 galt, wurden leichte Krankheitsfälle zunehmend nicht mehr labordiagnostisch untersucht und daher über das Meldesystem auch nicht mehr erfasst, sodass die Hospitalisierungsquote und Letalität im Verhältnis zur übermittelten Fallzahl deutlich anstiegen. In Ländern, in denen nur schwere Erkrankungen über das Meldesystem erfasst werden, werden diese Indikatoren deshalb deutlich höher geschätzt als in Ländern, die laborbestätigte Erkrankungen erfassen. Dies zeigen zum Beispiel vergleichbare Werte der in Deutschland beobachteten Letalität in T2 und T4 (0,005% beziehungsweise 2%) mit den anfänglichen internationalen Einschätzungen zur Letalität unter den gemeldeten Fällen, die in Neuseeland mit 0,005% und Peru mit 1,7% angegeben wurde [23, 24]. Möglicherweise ist dies auch ein Grund für die heterogenen und erst relativ spät publizierten Ergebnisse zur Einschätzung der Krankheitsschwere insgesamt. Eine Zusammenstellung der Daten ist kürzlich vom RKI veröffentlicht worden [22]. Wahrscheinlich verfügt nur Deutschland über diese wertvollen spezifischen Einzelfalldaten über den gesamten Verlauf der Pandemie. Daher hat sich der erhebliche Ressourcenaufwand der Gesundheitsämter und vieler weiterer Beteiligter auch im Hinblick auf die Gewinnung einer stabilen epidemiologischen Datengrundlage für zukünftige Empfehlungen gelohnt.

Die deutschen Daten bestätigen bezüglich der Risikofaktoren für schwere Krankheitsverläufe die publizierten internationalen Ergebnisse [18]. Darüber hinaus zeigen sie, dass neben dem direkt von der Influenza betroffenen Organsystem des Atmungsapparates und solchen im Zusammenhang mit der pandemischen Influenza neu identifizierten und viel diskutierten Faktoren wie Schwangerschaft und Adipositas insbesondere die angeborene, erworbene oder aus Therapiegründen iatrogen herbeigeführte Immunsuppression ein deutlicher Risikofaktor für einen schweren Krankheitsverlauf ist. Besonders deutlich zeigte sich dies bei den Todesfällen unter älteren Patienten. Der eigenständige Beitrag von Diabetes als Risikofaktor, der ebenfalls zu einer T-zellulären Immunsuppression führt und aufgrund seiner Prävalenz in der älteren Bevölkerung von Bedeutung ist, unterstreicht das. Da Patienten mit Immunsuppression von einer präventiven Impfung aufgrund einer geringeren Impfeffektivität möglicherweise nicht so stark profitieren wie andere Personengruppen, bedürfen Erkrankungen in dieser Gruppe einer besonderen Aufmerksamkeit. Bei diesen Patienten ist einerseits eine rechtzeitige Diagnostik und Therapie erforderlich, andererseits müssen Aufklärung und alle Präventionsmöglichkeiten in ihrem Umfeld weit stärker genutzt werden [25, 26]. Für den ambulanten und stationären Bereich unterstreicht dies die Notwendigkeit einer Impfung des medizinischen Personals sowie der Umsetzung entsprechender Verhaltens- und Maßnahmenregeln (Arbeitsschutz) zur Reduktion einer (unbemerkten) Transmission des Influenzavirus auf vulnerable Patienten. Im privaten Umfeld ist die Aufklärung über die Gefahr einer Erregerübertragung von Immungesunden auf Immunsupprimierte von großer Bedeutung. Die bei Personen ohne Risikofaktoren in der Mehrzahl selbstlimitierende, moderat verlaufende Erkrankung kann bei Patienten, die zur entsprechenden Risikogruppe zählen, lebensgefährlich verlaufen.

Wie alle Melde- und Surveillancedaten zeigen auch die Einzelfallmeldungen gemäß IfSG zur pandemischen Influenza (H1N1) einer Reihe von Limitationen. Möglicherweise wurden bei einem schweren Krankheitsverlauf mehr Informationen zu vorbestehenden Risikofaktoren erhoben und über das standardisierte Freitextfeld übermittelt, als es bei akut und selbstlimitierend verlaufenden Erkrankungen der Fall war. Dadurch würde der Beitrag einzelner Risikofaktoren an einer Hospitalisierung oder einem Todesfall überschätzt werden. Insbesondere bei Angaben zu Adipositas wäre eine systematische Verschiebung hin zu schweren Fällen denkbar. In der vorliegenden Analyse wurde daher auch der relative Beitrag der Risikofaktoren für Hospitalisierung und Tod separat verglichen. Beide Teilanalysen basieren auf Daten, die gleichartig erhoben wurden, sodass nicht mit einer größeren Verzerrung der Daten untereinander zu rechnen ist. Bei den übermittelten Todesfällen von Kindern haben die berichteten Risikofaktoren bei den wenigen Einzelfällen die Bedeutung der einzelnen Risikofaktoren maßgeblich bestimmt. Das zeigt sich in den sehr großen Konfidenzintervallen für die OR der einzelnen Risikofaktoren. Die geringen Fallzahlen gestatten auch keine Aussagen zum Ausmaß und zur Bedeutung der Interaktion von Risikofaktoren. Zur Quantifizierung des Risikos, bei einer bestehenden Vorerkrankung nach einer Influenzainfektion einen schweren Krankheitsverlauf zu erleiden, sollten bevölkerungsbezogene Daten mit Vergleichen zur Prävalenz des Risikofaktors in der Allgemeinbevölkerung herangezogen werden [27].

Die Krankheitslast in der Bevölkerung ist in Deutschland für Influenza nur im ambulanten Bereich mit Daten der Arbeitsgemeinschaft Influenza schätzbar. Hier zeigte sich an der Zahl der Arztbesuche eine Belastung, wie sie auch bei mittelschweren saisonalen Erkrankungswellen auftritt (http://influenza.rki.de/ >Diagramme). Am stärksten war die Altersgruppe der fünf- bis 14-Jährigen betroffen, was in etwa dem Schulkindalter entspricht.

Das Fehlen weiterer repräsentativer zeitnaher Surveillancesysteme zur Erfassung schwerer Krankheitsverläufe wurde nicht nur in Deutschland, sondern auch international als Mangel identifiziert und wird zur wichtigen Aufgabe in der Nachbereitung dieser pandemischen Erkrankungswelle [28].

Für das Fazit muss einschränkend bedacht werden, dass der Verlauf zukünftiger saisonaler und pandemischer Influenzaerkrankungswellen nicht vorhersagbar ist. Selbst mit zeitnahen Instrumenten ist nur eine begleitende Analyse möglich. Influenza hat – als eine direkt von Mensch-zu-Mensch übertragene Erkrankung mit kurzer Inkubationszeit – im Gegensatz zu anderen Infektionskrankheiten das Potenzial einer schnellen regionalen bis globalen Ausbreitung. Jede Influenzawelle hat zudem einzigartige charakteristische Eigenschaften. Unterschiede bestehen insbesondere mit Blick auf die Krankheitsschwere und die hauptsächlich betroffenen Alters- und Risikogruppen. Dies ist im Bewusstsein der Bevölkerung, die nur jedes Jahr aufs Neue von „der Grippe“ hört, nicht verankert. Auch Pandemien wiesen in der Vergangenheit regional stark unterschiedliche Verläufe auf: So zeigte zum Beispiel erst eine genauere Analyse der Spanischen Grippe von 1918, dass die geschätzte Mortalität zwischen 0,2% (in Dänemark) und 4,4% (in Indien) lag [29].

Spätestens im Herbst und Winter 2010 wird sich Deutschland wiederum auf eine Influenzasaison einstellen müssen, deren Verlauf nicht vorhersagbar ist. Unter anderem ist eine Verlagerung des Krankheitsgeschehens zu älteren und damit vulnerableren Altersgruppen möglich [18]. Unter diesem Gesichtspunkt ist die aus den hier dargestellten Daten gewonnene Information über das deutliche Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei älteren Personen und insbesondere im Zusammenhang mit einer Immunsuppression ein wichtiger Aspekt, der bei zukünftigen Informations- und Präventionsstrategien berücksichtigt werden sollte.